Dave, der ahnungslose...

Dave kam mit Hündin Lotte im März 2018 zu uns.

Beide wurden über eine Tierhilfeorganisation an uns vermittelt. Über die Vorgeschichte war kaum etwas bekannt, nur daß beide von der Straße aufgegriffen wurden und von einer Auffangstation in Ungarn zu einer vorrübergehenden Pflegestelle nach Deutschland gebracht wurden, wo wir sie abholten.

Die Tierhilfe wollte die beiden idealerweise zusammen vermitteln, da sie sich gut verstanden. Beide sind Deutsche Schäferhunde, bei der Vermittlung ca 3 Jahre alt.

Beim Abholen fiel schon auf, daß Lotte sehr menschenbezogen und manipulativ war. Sie hatte einige Tricks auf Lager, um Futter zu erbetteln.

Dave hingegen beachtete uns kaum, lief nur mit der Nase am Boden zum nächsten Wassernapf. Auch angebotene Leckerlie ignorierte er, schien sie nicht mal wahrzunehmen.

Zu Hause angekommen, setzte sich dieses Verhaltensmuster erst einmal fort:

Lotte war extrem bemüht, zu gefallen, Dave nahm uns 'am Rande' zur Kenntnis, nahm auch Futter von uns an, aber eher 'so nebenher' und sah uns dabei nie an. Er war sehr stark auf Lotte fixiert. Durch diese Fixierung lernte er auch einfache Befehle nur sehr langsam, da er sich nicht auf uns, sondern auf Lotte konzentriert.

Das Verhältnis zwischen den beiden war gut und mit einer starke Bindung zueinander. Lotte war dabei eindeutig die Cheffin: jeden Abend vertrieb sie den erheblich größeren Dave mit einem kurzen Knurren aus seinem Futternapf, auch wenn in ihrem noch Futter war.

Beide haben ihr eigenes Bett, aber Lotte vertrieb Dave regelmässig aus seinem, ein kurzer strenger Blick genügte da meist.

Auch 'aufreiten' war keine Seltenheit, insbesondere, wenn Dave Befehle mißachtete, was ja ständig vorkam.

Wir arbeiteten über die nächsten Wochen mit beiden, im Haus und auf täglichen Spaziergängen. Wir hatten gute Hundeerfahrung, lebten beide den meisten Teil unseres Lebens mit Hunden. Lotte, obwohl recht lebhaft, machte gute Fortschritte, hatte aber auch ihre Probleme, da sie bei gemeinsamen Runden auch sehr auf Dave achtete. Allerdings war es einfacher, eine Bindung zu ihr aufzubauen.

Dave hingegen lief bei jeder Gassirunde wie eine Trambahn auf Schienen mit der Nase am Boden

entlang. Er schien draußen um sich herum nichts wahrzunehmen außer Lotte. Wenn er heimkam, trank er erst mal die Wasserschüssel fast leer, verteilte den Rest großzügig in der Küche um dann erschöpft auf sein Bett zu fallen.

Im Haus fing er langsam an, uns mehr zu beachten, kam auch mal schüchtern zum Schmusen (wenn Lotte es erlaubte), sah uns aber nie direkt an. Insgeamt machte Dave nicht nur emotional und sozial einen verkümmerten Eindruck, auch körperlich war er für sein Alter unterentwickelt: sehr dünn, Pfoten und Kopf zu groß für seinen Körper. Wenn er das Bein zum Pinkeln hob, verlor er oft das Gleichgewicht.

Beim Spielen mit Lotte war er jedesmal sehr schnell erschöpft und die wesentlich kleinere Hündin konnte ihn problemlos mit einem Sprung in die Schulter umwerfen. Die ersten 3 - 4 Wochen waren Gassirunden mit Dave zwar anstrengend, wegen noch fehlender Leinenführigkeit, aber sonst problemlos. Dann fing er plötzlich an, an der Leine zu pöbeln. Erst waren es kläffende Hunde am Zaun in der Nachbarschaft, an denen wir vorbei mußten. Aber mehr und mehr wurden es auch Hunde, die wirunterwegs trafen. Dabei machte Dave keinen Unterschied, ob es Rüden oder Hündinnen waren, alt, jung, sterilisiert oder nicht, Rasse – er verbellte vehement alles. Es war auch egal, ob mein Mann, 

ich oder beide mit ihm unterwegs waren oder ob Lotte dabei war. Ende April war es mal so weit, daß ich buchstäblich auf ihm sitzen mußte, weil er sich so aufführte.

Glücklicherweise war er aber Menschen gegenüber immer freundlich, wenn auch etwas desinteressiert. Uns war klar, daß das so nicht weitergehen konnte und wir dringend Hundekontakte mit Dave üben mußten. Leichter gedacht als getan, mit einem großen Schäferhund – die meisten Leute mit Hunden ergriffen panisch die Flucht, wenn er loslegte. Verständlich.

Die einzige Lösung war eine Hundeschule. Nach einiger Suche stießen wir auf Silvias 'Running Dogs'. Silvia kam nach Anruf und Erläuterung des Problems ziemlich zeitnah zu einem Hausbesuch, ging mit uns eine kurze Runde spazieren und ließ Dave draußen auch ihre damalige Hündin Lotta sehen, dabei aber noch ohne direkten Kontakt, nur um sein Verhalten zu beobachten. Sie nahm ihn auch an die Leine

und drängte ihn zurück, um zu sehen, ob wie er reagierte. Nach einiger Zeit gab Dave nach, beruhigte sich, setzte sich hin und schaute zum ersten Mal seit wir ihn hatten jemandem ins Gesicht. Dies ging von Silvias Seite sehr ruhig, aber konsequent von statten.

Sie gab uns zum Abschluß noch ein paar Tipps, wie wir die nächste Zeit mit ihm umgehen sollten und wir vereinbarten noch einen Einzeltermin auf dem Hundeplatz, bei der ihre Hündin Nanu dabei war. Lotte kam auch mit und durfte mit Nanu spielen, woraufhin Dave völlig außer Rand und Band geriet und kaum zu halten war.

Silvia verordnete ihm eine Maulschlaufe, zeigte uns, wie wir ihn damit schnell und effektiv unter Kontrolle bringen, und so schnell für den Hund in der Führung waren. Anfänglich war ich wegen der Schlaufe skeptisch, aber nach Anleitung und sichtbarem, schnellem Effekt

konnte ich es mehr zum Führen eines Pferdes mit dem Halfter vergleichen. Die Schlaufe gab mir schnell mehr Sicherheit mit Dave bei Hundebegegnungen. Ich dachte nicht mehr drüber nach, wie ich die Begegnungen umgehen könnte, sondern marschierte einfach weiter, kontrollierte ihn nach Bedarf mit der Schlaufe, strenges 'Nein', fokusierte ihn auf mich und erst, wenn er ruhig im Sitz war und mich anschaute, ging's weiter. Anfangs kamen wir so oft nur schrittweise weiter, wenn wir auf Hunde trafen, aber es wurde jede Woche besser.

Nach einigen Wochen im Sommer war es dann so weit – Dave durfte zu ersten Gruppenstunden auf den Hundeplatz.

Erst war er Ablenkung für die Hunde der Fortgeschrittenengruppe. Wir machten ihn an langer Leine am Bauwagen fest und ließen ihn die anderen Hunde einfach nur aus der Distanz beobachten. Nach einer Weile änderte sich sein wütendes Gebell und er fing eher an, sich für die anderen Hunde zu interessieren (die ihn allerdings ignorierten) und zaghaft mit dem Schwanz zu wedeln. In den nächsten Stunden lief ich mit ihm nur um den Platz herum, zog die Kreise um Hundegruppen enger, ging auch mal zwischen ihnen durch. Jedesmal, wenn er wieder zu pöbeln anfing, kontrollierte ich ihn wie beim Gassi gehen auch.

Im Herbst konnte Dave andere Hunde so weit tolerieren, daß er am Bindungs- und Folgsamkeitstraining aktiv teilnehmen konnte. Auch

draußen war er wesentlich entspannter und tolerierte andere Hunde, nur die Zaunkläffer waren noch ein Problem.

Über den Winter 18 / 19 hatten wir einen kurzen Rückfall, da erst mein Mann und dann ich uns jeweils eine größere OP unterziehen mußten. Während mein Mann sich von seiner OP erholte, wurde meine Hüfte schlimmer und ich konnte nicht mehr gut gehen. Diese Schwächen bei uns beiden hat Dave wohl wieder verunsichert und er pöbelte wieder mehr. Das machte uns natürlich auch zu schaffen und wir haben auch einmal, als es uns beiden nicht gut ging, darüber nachgedacht, ob Dave nicht zu viel für uns ist und wir ihn wieder zur Tierhilfe zurückbringen sollten.

Wir beschlossen aber, nicht aufzugeben, da der Hund endlich eine Bindung zu uns entwickelt hatte. Ihn nun wegzugeben, noch dazu ohne Lotte, hätte ihn wahrscheinlich sehr verstört und als mittlerweile stattlicher Schäferrüde würde er vermutlich als Wanderpokal enden, wenn wir ihn aufgaben. So machten wir konsequent auch über diesen Winter mit Maulschlaufe und der Unterstützung von Silvia und den anderen Teams in der Hundeschule weiter.

Im Frühjahr / Sommer ging es dann wieder bergauf und Dave hat mittlerweile viel gelernt. Die Grundkommandos klappen gut und er geht draußen auch ohne Leine nicht weit von uns weg. Hundebegegnungen sind nun völlig streßfrei, auch wenn der andere Hund Abwehrverhalten zeigt. Das kann Dave nun gut ignorieren.

Im Herbst 2019 nahm ich beide Hund mit zu einem Kurzurlaub nach Berlin und ging jeden Morgen mit ihnen in der Hundefreilaufzone am Grunewaldsee spazieren.

 

Dort trafen wir Dutzende Hunde, nicht alle wohlerzogen, aber Dave war völlig entspannt. Raufbolde und Kläffer ließ er links liegen, wenn er im Spiel etwas gröber wurde ließ er sich gut mit Kommando kontrollieren.

Ein paar Wochen später trafen wir uns mit Freunden in den Isarauen in München – auch hier war Dave überhaupt kein Problem. Ganz im Gegenteil – er und Lotte kamen immer zuverlässig auf Rückruf und blieben brav im Sitz, bis sie wieder los durften – so, daß wir von einigen Leuten Komplimente über unsere braven Schäferhunde bekamen. Auch im Restaurant oder Biergarten ist Dave kein Problem mehr. Er liegt brav unter'm Tisch, bis wir wieder gehen, auch wenn Hunde vorbeikommen. Mit der Hilfe von Silvia und den Teams von Running Dogs konnte sich Dave, der Ahnungslose, zu einem normalen Familienhund entwickeln, den wir problemlos überall hin mitnehmen können und der oft auch gern gesehen und bewundert wird.

Er ist immer noch etwas territoreal und mehr in der Beschützerrolle, wenn Lotte dabei ist. Wir haben bei Silvia aber gelernt, dies frühezeitig

zu erkennen und sofort zu unterbrechen. Ein Arbeitshund, der freudig jeden Befehl prompt ausführt, wird aus ihm nicht werden, dafür ist er zu faul. Das ist auch ok. Wir sind einfach froh, daß Dave endlich entspannt ist, Bindung zu uns hat und Grundbefehle zuverlässig, wenn auch etwas schlampig, ausführt.

In die Hundeschule geht er nach wie vor trotzdem gerne, genau wie Lotte. Lotte ist intelligent, selbständig, sozial sehr kompetent und von der Straße gewohnt, in der Führung zu sein. Unter Silvias Anleitung sind wir ein gutes Team geworden. Lotte hat viel Spaß im Training und es ist für uns eine Freude, mit ihr zu arbeiten.